Parental Alienation Syndrom (PAS): Wenn sich Kinder entfremden

Parental Alienation Syndrom
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Wenn sich Eltern und Kinder entfremden, ist das meist eine Folge von innerfamiliären Konflikten. Diese treten im Zuge einer Scheidung oder Trennung auf. Experten sprechen in solchen Fällen von einem „Parental Alienation-Syndrom“, kurz PAS. Das Kind hat beide Eltern zuvor mit gleicher Intensität geliebt. Nun aber lehnt das Kind einen der beiden Elternteile ab. Aus Sicht des betroffenen Elternteils geschieht das ohne tieferen Grund.

Das Kind lehnt plötzlich jeden Kontakt ab. Die Gründe dafür werden im anderen Elternteil als vermeintlichem Manipulator und Aggressor gesucht. Das ist beim „Parental Alienation-Syndrom“ tatsächlich meist der Fall. Doch das muss nicht der alleinige Auslöser für Abwehrhaltungen sein. Oftmals fühlen Kinder sich mitschuldig an der Trennung ihrer Eltern. Sie ziehen sich möglicherweise von dem Elternteil zurück, der vermeintlich Schuld an der Trennung ist. Fakt ist: Die betroffenen Kinder und der entfremdete Elternteil sind gleichermaßen Opfer. Ob mit der Zeit eine neuerliche Annäherung gelingt, ist unterschiedlich.

Was verbirgt sich hinter dem Parental Alienation Syndrom (PAS)?

Kinderpsychiater Richard A. Gardner hat 1884 erstmals über dieses Problem berichtet. Er sah das „Parental Alienation-Syndrom“ als spezielle Form der Entfremdung zwischen Eltern und Kind. Die Entfremdung geht jedoch vom Kind aus. Sie richtet sich gegen den Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt. Richard A. Gardner beschrieb das Syndrom in seinem Buch „Das elterliche Entfremdungssyndrom“ ausführlich. Er verstand sein Buch als fachkundige Hilfestellung, die bei gerichtlichen Sorgerechts- und Umgangsstreitigkeiten eingesetzt werden sollte. Wie Gardner feststellte, kommt es auffallend oft im Zusammenhang mit Sorgerechts-Streitigkeiten zu einer PAS. Wie er schon damals feststellte, wird die Liebe des Kindes für das andere Elternteil absichtsvoll oder unbewusst geschmälert.

Das Kind wird manipuliert und gegen das andere Elternteil eingenommen. Es entzieht diesem die Sympathie. Das Kind sieht es als seine eigene Aufgabe an, das elterliche Gegenüber durch Ablehnung und Abweisung zu betrafen. Oft geht die Indoktrinierung des Kindes von der Mutter aus. Dieser wird meist das Sorgerecht zugesprochen. Folglich finden sich die Väter in einer Situation wieder, die sie nicht erwartet hatten. Sie haben plötzlich kaum noch Einfluss auf ihre Kinder, obwohl sie Besuchsrechte und Unterhaltspflichten haben. Der springende Punkt an der elterlich-kindlichen Entfremdung ist, dass sie an sich grundlos erfolgt.

Eltern streiten
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Jenseits der Meinungsmache durch die Mutter gibt es tatsächlich keinen rationalen Grund für die Anti-Haltung des Kindes. War es aber zuvor zu körperlichen oder seelischen Misshandlungen durch den abgelehnten Elternteil gekommen, wäre die kindliche Ablehnung nicht grundlos. In diesem Fall könnte folglich auch kein „Parental Alienation“-Syndrom diagnostiziert werden. Das Problem ist jedoch: Dieses Syndrom entsteht in komplexen Zusammenhängen. Daher ist die Diagnose „PAS“ in Deutschland umstritten. Aus juristischer Sicht existieren kaum einheitliche oder verbindliche Regelungen dafür. Selbst wenn ein Arzt oder Kinderpsychologe erkennt, dass das Kind gegen seinen Vater beeinflusst wird, gibt es keine einheitliche Rechtsprechung für solche Fälle.

Die befragten Kinder geben oft an, sie würden den Vater aus freien Stücken ablehnen und nicht mehr sehen wollen. Meist wird daher gar nicht deutlich, welche inneren Konflikte das Kind erlebt, und warum der Vater nicht mehr geliebt wird. Für Richter ist es schwer, ein gerechtes Urteil zu fällen. Entweder wird das Problem von der Mutter schöngeredet oder geleugnet, oder es werden aufgrund richterlicher Beurteilungen drastische Anordnungen erlassen. Zum Beispiel kann es zum Sorgerechtsentzug kommen. Auch eine Kindesüberstellung in ein Heim oder eine Pflegefamilie steht manchmal im Raum.

Ursachen einer Eltern-Kind-Entfremdung

Das Vorliegen einer PAS wird primär in der unangemessenen Beeinflussung durch den Elternteil gesehen, der das Sorgerecht hat. Für das Kind entsteht dadurch ein traumatischer Loyalitätskonflikt. Kinder sind unfähig, ambivalente Gefühle zuzulassen oder zu äußern. Sie entwickeln in solchen Krisen oft eine Neigung zum Schwarz-Weiß-Denken. Erschwerend ist, dass kleinere Kinder bis ins späte Jugendalter ihre eigene Identität noch nicht definieren konnten. Ihre Persönlichkeitsentwicklung ist noch nicht abgeschlossen Es ist schlichtweg einfacher für sie, die Eltern in „gut“ und „böse“ zu unterscheiden.

Kinder sind vom Wohlwollen desjenigen Elternteils abhängig, bei dem sie leben. Sie haben Angst, auch noch diesen Elternteil zu verlieren. Also halten sie ein „Taking Sides“ und eigenes Wohlverhalten für eine geeignete Maßnahme, um die inneren Konflikte zu beruhigen. Psychologen kennen ähnliche Psycho-Dynamiken von Sekten oder Geiselnamen. Bei einer Geiselnahme solidarisieren sich die Betreffenden oft mit den Entführern, um zu überleben (Stockholm-Syndrom). Dennoch wird beim PAS primäre die bewusste oder unbewusste Einflussnahme gegen den Vater bzw. das andere Elternteil als ursachlich angesehen. Es geht darum, das Kind vom früheren Partner zu entfremden.

kind entfremdet sich
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Die Einflussnahme findet auf verbaler und non-verbaler Ebene statt. Das Umgangsrecht des Vaters wird umschifft oder ausgehebelt. An das Kind werden gezielte Fehlinformationen gerichtet. Das kindliche Bild vom liebenden Vater wird beschmutzt oder zunichtegemacht. Die ständigen Negativdarstellungen bleiben nicht ohne Folgen. Sie sind suggestiv und können nicht geprüft oder durchschaut werden. Ziel ist es, dem Kind zu suggerieren, dass ein Kontaktabbruch notwendig ist. Manchmal werden sogar psychische oder körperliche Gewalt angewendet. Dem Kind werden Schläge und Stubenarrest angedroht. Die Mutter sperrt es ein. Sie bestraft es bei angeblichem Fehlverhalten mit Liebesentzug oder droht, es ins Kinderheim zu geben.

Selbst Selbstmorddrohungen oder falsche Beschuldigungen in Richtung auf den Vater sind nicht ungewöhnlich. Es wird beispielsweise behauptet, er habe das Kind misshandelt oder missbraucht. Der Mutter geht es um den Erhalt des eigenen Sorgerechts – und den Entzug der Besuchserlaubnis auf der anderen Seite. Schwere PAS-Formen können zu ähnlichen Psychodynamiken wie das „Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom“ führen.

Symptome des Parental Alienation Syndroms

Das Kind verhält sich dem anderen Elternteil gegenüber ablehnend und kalt. Entsprechend der Konsequenz und Schwere des kindlichen Verhaltens wird die PAS in drei Schweregrade eingeteilt: mild, moderat und schwerwiegend. Die moderaten und schwerwiegenden PAS-Formen werden durch acht Kernsymptome gekennzeichnet. Dazu gehören:

  • eine grundlose Verunglimpfung und Zurückweisung
  • fehlende Ambivalenz
  • irrationale Selbstrechtfertigungen
  • unreflektierte Parteinahme gegen den anderen
  • Feindseligkeit gegen die neuen Familienmitglieder des Vaters
  • Behauptung, das abweisende Verhalten beruhe auf eigenen Ansichten
  • Mangel an Schuldgefühlen für die Ablehnungshaltung
  • und die Aneignung von Szenarien, die nicht so geschehen sind.

All das hinterlässt eine Kinderseele nicht unbeeinflusst. Die kindliche Psyche leidet. Sie kann durch Folgeschäden belastet werden. Die Identitätsbildung wird extrem erschwert. Oft kommt es zu einer gestörten Selbst- und Fremdwahrnehmung. Die Folgen der PAS können sich bis ins Erwachsenenalter ausdehnen. Sie können sich als Depression, Essstörung, Sucht, Bindungs- und Beziehungsangst, posttraumatische Belastungsstörung oder psychosomatische bzw. psychische Erkrankung manifestieren. Die Suizid-Rate unter den betroffenen Kindern ist erhöht.

pas syndrom
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Auch das zurückgewiesene Elternteil kann sich mit Trauer, Depressionen, Hoffnungslosigkeit, inneren Konflikten oder Stress konfrontiert sehen. Darunter leiden letztlich auch der Arbeitsalltag oder das neue Familienleben. Hohe Kostenbelastungen wegen der angestrengten Gerichtsverfahren oder Familienberatungen kommen oft hinzu. Der Austausch mit anderen Betroffenen ist meist hilfreich.

Die Diagnose von PAS

Oftmals wird die Entfremdung zwischen einem Elternteil und dessen leiblichem Kind gar nicht diagnostiziert. Viele Paare arrangieren sich mit der Situation. Der Vater zieht oft weit weg, gründet eine neue Familie. Wenn eine Diagnose gestellt wird, müssen drei Kriterien vorliegen:

  • die kindliche Ablehnung muss dauerhaft sein
  • es liegt trotz der Ablehnung kein erkennbares Fehlverhalten der betroffenen Person vor
  • und eine massive Beeinflussung durch den anderen Elternteil wurde erkennbar.

Problematisch ist, dass der manipulative Elternteil häufig durch Schutzbehauptungen des Kindes entlastet wird. Das erschwert es, das PAS zu erkennen. Eine Möglichkeit bietet sich für den abgelehnten Elternteil durch das Einschalten des zuständigen Jugendamtes oder eines Rechtsanwalts. Das Verhalten des Kindes ist die Bewertungsgrundlage für die Diagnose, auch für den PAS-Schweregrad. Dennoch werden auch der familiäre Hintergrund sowie die Rollenverteilung untersucht.

Die Therapie eines Parental Alienation Syndroms

Ohne einen Therapeuten, der sich mit dem Problem auskennt, kann die Behandlung nicht zielführend sein. Die Behandlungsmethoden ähneln denen, die bei Suchterkrankten oder Sektenopfern benutzt werden. Grundlage der Therapie ist, das beeinflusste Kind vom manipulativen Elternteil zu trennen. Es muss ein Aufenthaltswechsel vorgenommen werden. Oft werden die Kinder in einer Übergangseinrichtung – etwa einem Jugendheim oder einer geschulten Pflegefamilie – untergebracht. Der Aufenthaltswechsel ist solange notwendig, bis das Kind dem entfremdeten Elternteil erneut Besuche abstatten möchte.

Parental Alienation Syndrom Behandlung
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Während der Therapie wird jeder Kontakt zum manipulativen Elternteil unterbunden. Das Kind soll erkennen, dass seine Weltsicht fern der Realität liegt. Bei erfolgreicher De-Programmierung wird der Kontakt zum abgelehnten Elternteil oft wieder aufgenommen. Das stellt aber den Idealfall dar. In der Realität werden die entfremdungsmanipulierten Kinder oft jahrelang in der beeinflussenden Situation alleine gelassen. Das verursacht Probleme, die kaum zu beheben sind. Selbst eine Psychotherapie kann dem Kind nicht wirklich helfen, den Kontakt zum verlassenen Vater wieder aufzunehmen.

Vorbeugung und Heilungschancen

Der Auswirkung manipulativer Einflussnahmen eines Elternteils kann niemand vorbeugen. Zwar fordern internationale Experten, dass das „Parental Alienation Syndrom“ im „Diagnostischen und statistischen Leitfaden psychischer Störungen“ DSM(-IV) aufgenommen wird, weil man nur dann im Sinne der betroffenen Kinder intervenieren könne. Präventivmaßnahmen wären ebenfalls möglich. Doch meist wird die Diagnose PAS gar nicht gestellt.

Falls ein Kinderarzt die Situation dennoch korrekt beurteilt, kann es dem betroffenen Kind gelingen, wieder normale Verhältnisse zuzulassen. Ansonsten schafft es meist nicht, sich dem beeinflussenden Elternteil wirkungsvoll zu entziehen. Die mütterliche Indoktrination wirkt sich bis ins Erwachsenenalter aus. Der abgelehnte Elternteil wird lebenslang abgeschoben.